Dieser Satz klingt zunächst sehr selbstbewusst und scheint der Ausdruck einer hohen Akzeptanz sich selbst gegenüber zu sein. Viele Seminare haben genau das zum Ziel, nämlich dass jeder Teilnehmende diesen Satz am Seminarende mit Kraft, Bestimmtheit und geschwellter Brust aussprechen kann. Es ist ein Zeichen dafür, mehr zu sich selbst zu stehen und bereit zu sein, dies auch nach außen zu tragen.
Ja! Es hat viele Vorteile, eine eigene Meinung zu haben, und diese klar zu äußern. Sie bildet die Grundlage für eine Vielzahl von kleinen und großen Entscheidungen in unserem privaten und beruflichen Alltag, und gewährt uns dadurch Halt und Sicherheit für unser eigenes Handeln. Sie hilft uns dabei, uns nicht ständig zu hinterfragen, nicht jede Situation neu zu denken, womit wir auch für andere eine verlässliche Größe darstellen. Es wirkt auf andere durchaus selbstbewusst und schützt uns vielleicht sogar vor der Einflussnahme einzelner, die es möglicherweise nicht gut mit uns meinen könnten.
„Ich bin, wie ich bin“ – klingt aber auch wie eine Erklärung oder Erlaubnis dafür, mich nicht verändern zu müssen, mich mit den Meinungen anderer nicht mehr beschäftigen und auseinandersetzen zu müssen. Es ist eine Aussage, die von vielen mit Selbstbewusstsein verwechselt wird. Denn diese Aussage bedeutet auch, bewusst aus dem Kontakt mit dem anderen zu gehen und die andere Sichtweise oder den anderen Blickwinkel für sich als nicht relevant zu bewerten.
Wirkliches Selbstbewusstsein bedeutet aber, keine Scheu vor der Sichtweise des anderen zu haben und sich nicht prinzipiell vom anderen abzugrenzen, zu verschließen/abzuschließen. Es bedeutet vielmehr, den Blick des anderen zu integrieren, offen und vielfältig zu bleiben, und sich die Möglichkeit offen zu lassen, sich berühren und/oder bewegen zu lassen – als Option, als freie Wahl.
Die Welt besteht aus Sichtweisen – nicht nur aus meiner!
Wozu das führen kann, zeigen die Bemühungen des Affen um seinen Freund: „Lass dir aus dem Wasser helfen, sonst wirst du noch ertrinken“, sprach der freundliche Affe und setzte den Fisch sicher auf den Baum.
In diesem Sinne wünsche ich allen, die sich von diesen Zeilen angesprochen fühlen, eine feinfühlige Positionierung mit der Möglichkeit, sich bei Bedarf jederzeit öffnen zu können.
Birgit Weinand